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Thema der Woche | 1. Juni 2017

Riese geht auf Reisen

Marburgs "Langer Anton" ist der drittgrößte Mann, der je in Deutschland gelebt hat – Foto: Gesa Coordes

2,44 Meter misst der Riese, über den Nina Ulrich forscht, die forensische Anthropologin und Kustodin des Museums Anatomicum der Universität. Nun reist Anton nach Nürnberg. "Riesen haben die Menschen seit jeher fasziniert", sagt die Wissenschaftlerin, die dem ungewöhnlichen Mann im Rahmen ihrer Dissertation über die Herkunft der Präparate aus der Anatomischen Sammlung nachgespürt hat: Anton Franck hieß er eigentlich, nannte sich aber Anton de Franckenpoint, was nobler klang und an seinen niederrheinischen Geburtsort Pont, einen Ortsteil von Geldern an der niederländischen Grenze erinnerte. Sein genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt, da Holzschnitte aus Nürnberg und Straßburg unterschiedliche Daten vermuten lassen. Auch Knochen­unter­such­ungen hätten in diesem Fall nichts genützt, sagt Nina Ulrich. Das liegt nicht am beeindruckenden Alter des mehr als 400 Jahre alten Skeletts, sondern an Antons Riesenwuchs, der die üblichen Anhaltspunkte für das Alter eines Menschen über den Haufen wirft. Die forensische Anthropologin geht aber davon aus, dass er 1561 geboren wurde.

Anton Franck litt an einem Tumor der Hinanhangdrüse, wodurch zu viele Wachstumshormone produziert wurden. Ob es auch genetische Ursachen für seinen Gigantismus gab, wird zurzeit von Endokrinologen aus dem belgischen Gent geklärt, die kürzlich kleine Proben aus dem Innenohr von Antons Skelett genommen haben. Sie hoffen, darin Spuren seiner DNA zu finden.

Nina Ulrich vermutet, dass er bereits im Alter von zehn bis zwölf Jahren auf Wanderschaft ging: "Da er normale Berufe kaum ausüben konnte, machte er aus seinem Leid eine Tugend." Er reiste in größere Städte, um sich bei Jahrmärkten und anderen Veranstaltungen wohl gegen Geld auszustellen. Ob er auch Kunststücke vorgeführt hat, weiß man nicht. Belegt ist, dass er als 14-Jähriger in Nürnberg auftrat. Zu diesem Zeitpunkt maß er bereits 2,30 Meter.

Später diente er als sogenannter "Heiduck" in der Leibgarde des Herzogs Heinrich Julius zu Braunschweig-Wolfenbüttel. Herrscher umgaben sich gern mit Riesen, die ihre Macht unterstreichen sollten, so Ulrich. Davon zeugt ein vor zwei Jahren restauriertes Gemälde, das im Treppenaufgang des Marburger Anatomiegebäudes hängt. Es zeigt den langen Anton in einer prächtigen Uniform in Braunschweiger Farben. Vermutlich sorgte er allein durch seine imposante Erscheinung für Eindruck bei Freund und Feind.

Besonders kräftig war er allerdings nicht. Durch seine Erkrankung waren nämlich alle Organe vergrößert, weshalb er unter Diabetes, verknöcherten Bändern und massiver Arthrose litt. Man fand auch eine lange Krücke, die heute neben dem Skelett steht."Er hatte mit Sicherheit Schmerzen bei Gehen und Stehen", so Ulrich. Oberschenkelhalsbrüche an beiden Beinen lassen sich bis heute nachweisen.

Er wurde auch nicht alt und starb am 21. November 1596 im Schloss Gröningen. Da war Anton Franck wahrscheinlich erst 35 Jahre alt. Sein Skelett wurde der Anatomie der Universität Helmstedt übergeben, während die Überreste auf dem Friedhof der Stadt begraben wurden. Gut 200 Jahre lang stand der lange Anton im medizinischen Hörsaal der Hochschule. Doch die Universität Helmstedt wurde 1810 geschlossen und der Anatom Christian Heinrich Bünger erhielt einen Ruf nach Marburg. Das Skelett und andere wertvolle Präparate nahm er mit und begründete die Marburger Sammlung. Heute gehört der lange Anton zu den Highlights des Museums Anatomicum.

Erstmals wird dieses älteste Präparat der Sammlung nun ausgeliehen: Der lange Anton wird am 26. Juni nach Nürnberg gebracht, wo er bis November in einer Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums zu sehen ist. Das Museum Anatomicum hat sich auf die Leihgabe nur eingelassen, weil Anton eigens in Vakuumkissen verpackt über die steilen Treppen in den Süden gebracht wird – von Spezialisten, die bereits die Terrakottaarmee des Ewigen Kaisers von China transportiert haben.

Wer den Langen Anton im Museum Anatomicum (Robert-Koch-Str. 6) vorher noch einmal besichtigen möchte, hat dazu am 3. Juni in der Zeit von 10 bis 12 Uhr sowie während der Nacht der Kunst am 23. Juni in der Zeit von 19 bis 22 Uhr Gelegenheit. Außerhalb der Öffnungszeiten können Führungen unter 2867088 vereinbart werden, www.uni-marburg.de/fb20/museum-anatomicum.

Giganten der Welt
Der bis heute nachweislich größte vermessene Mensch der Welt war der Amerikaner Robert Wadlow (1918-1940), der mit seinen 2,72 Meter im Guinessbuch der Rekorde steht. Der größte lebende Mensch ist der Türke Sultan Kösen mit 2,51 Meter. Der größte lebende Deutsche ist der ehemalige Basketball-Nationalspieler Rolf Mayr, der 2,22 Meter misst.
Marburgs langer Anton schafft es nach diesem Ranking auf die 25. Stelle weltweit – aus dem 16. Jahrhundert sind so große Menschen allerdings kaum bekannt. Auch der "Irische Gigant" Charles Byrnes (1771-1783), der etwa 2,50 Meter groß war, lebte erst Ende des 18. Jahrhunderts. Sein Skelett steht heute in einem Londoner Museum. Der "Riese vom Tegernsee" Thomas Hasler (1851-1876) wurde 2,35 Meter groß. Ebenfalls aus dieser Zeit stammen Baptiste und Antoine Hugo – "les Géants des Alpes", die 2,25 Meter und 2,35 Meter erreichten.
gc

Gesa Coordes

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