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Thema der Woche | 9. November 2017

"Der hat das einfach nicht gewusst."

Sascha Marks verteidigt den Waffenhändler des Amokläufers von München
Foto: Coordes

Es dürfte der größte Prozess seines Lebens sein: Der Marburger Straf­ver­tei­di­ger Sascha Marks verteidigt den Mann, der dem Amokläufer von München die Pistole besorgte, mit der neun junge Menschen erschossen wurden. Da, wo der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe verhandelt wird, tagt nun zumindest zeitweise auch der Amokläufer-Prozess. Aus Sicherheitsgründen wurde die letzte Sitzung sogar in den Hochsicherheitstrakt der JVA Stadelheim verlegt.

Sascha Marks würde das Verfahren allerdings nicht so einfach als größten Prozess seines Lebens bezeichnen: "Mein Mandant hat Waffen verkauft. Mehr kann man ihm nicht vorwerfen", sagt der Anwalt. Aber die Folgen seien "extrem": Acht Jugendliche mit Migrationshintergrund und eine 45-jährige Frau wurden am 22. Juli 2016 vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München erschossen – ohne jeden Grund. Dann tötete sich der Attentäter selbst. Gutachter stuften die Tat als rassistisch motiviertes Hassverbrechen ein.

Mit einem Urteil ist nach neuen Beweisanträgen der Nebenkläger erst im kommenden Jahr zu rechnen. Zu groß sei das Leid der Angehörigen, erklärt Marks. Deren Anwälte wollen den Marburger Waffenhändler wegen Beihilfe zum Mord drankriegen. Dann könnte dem Angeklagten sogar eine lebenslange Frei­heits­strafe drohen. Doch der 32-jährige Waffenhändler sei nicht in die Pläne eingeweiht gewesen, so Marks. Deswegen sei er nur wegen fahrlässiger Tötung und illegalen Waffenhandels angeklagt: "Der hat das einfach nicht gewusst", sagt sein Anwalt. Angemessen findet er daher nur ein Urteil deutlich unter fünf Jahren.

Der 46-Jährige mit der blonden Haartolle ist der bekannteste Strafverteidiger Marburgs: Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Drogen, Betrug und Kinder­schän­dung. Es gibt kein Delikt, das Marks grundsätzlich ablehnt. Aktuell kümmert er sich um fünf Angeklagte, die sich wegen Mordes oder versuchten Mordes ver­ant­worten müssen. Und er ist bekannt unter den Häftlingen in der Umgebung. Schließlich ist er Stammgast in Hessens Gefängnissen. Mehrmals pro Woche besucht er Mandanten hinter Gittern.

Der aus Pfalz stammende Anwalt ist eher zufällig in der Rechtswissenschaft gelandet. Als er einen Freund in Marburg besuchte, empfahl ihm dieser die Juristerei mit den Worten: "Außer reden kannste ja nix." Marks schrieb sich ein und war von Anfang an fasziniert von Strafrecht. Die Wahlstation seines Referendariats hätte er am liebsten beim FBI gemacht. Es wurde dann zwar Washington D.C., aber eine Organisation, die sich eher wissenschaftlich mit Strafrecht befasst. Im Jahr 2000 begann er in der alteingesessenen Marburger Kanzlei Ludwig, in der auch der ehemalige hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) tätig ist.

Seinen ersten Mordfall hatte er schon wenige Tage nach seinem Einstand: Da vertrat er allerdings noch die Nebenklage, einen Sudanesen, dessen deutsche Ehefrau den sechsjährigen Sohn getötet und die zwölfjährige Tochter schwer verletzt hatte. Die Tochter von damals studiert heute Jura. "Sie hat später ein Praktikum bei mir gemacht", erzählt Marks.

Nicht nur Idylle: Auf einer der Bänke im Marburger Ludwig-Schüler-Park wechselte die Pistole den Besitzer – Foto: Coordes

Sein Schwerpunkt seitdem sind allerdings die Täter. "Natürlich sind viele Dinge entsetzlich", sagt der Rechtsanwalt: "Aber zugleich sind sie auch faszinierend. Man kann fürchterlich viele Facetten von Persönlichkeiten kennenlernen." So sei er richtig kalten Menschen, die keinerlei Mitgefühl für ihre Mitmenschen aufbringen könnten, erst durch seine Arbeit begegnet. Dabei denkt er an den jungen Mann, der gemeinsam mit drei Freunden völlig ohne Anlass einen 22-Jährigen in Frankenberg so schwer misshandelte, dass dieser nur noch im Pflegeheim dahinsiechte. "Der blanke Horror", sagt Marks dazu. Wäre der 22-Jährige gestorben, hätten die Täter mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen müssen. Er starb aber erst ein Jahr später nach langem Martyrium. Da war das Urteil – elf Jahre Freiheitsstrafe für den von Marks verteidigten Haupttäter – schon rechtskräftig. Ob er das gerecht findet? "Juristisch war es korrekt", sagt Marks.

Obduktionsberichte, blutige Tatorte und Leichen machen ihm schon lange nichts mehr aus: "Mit der groben Gewalt kann ich umgehen", sagt der 46-Jährige. Anders sei dies, wenn Kinder beteiligt seien. So verteidigte er den Betreiber des Seeparks Niederweimar, nachdem dort eine Dreijährige ertrunken war. Die Mutter des Kindes hatte nur kurz eine Freundin begrüßt. Danach war die Kleine verschwunden. Als man sie fand, schwammen blonde Locken auf dem Wasser. "Ich habe dieses Bild im Kopf, als wäre ich dabei gewesen", sagt der Anwalt, der selbst Vater zweier Söhne im Alter von sechs und neun Jahren ist.

Der Amokläufer-Prozess ist bei Marks gelandet, wie viele andere Verfahren zuvor. Waffenhändler Philipp K. saß in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Gießen, wo Marks nach eigener Einschätzung etwa die Hälfte der Häftlinge kennt. Er wurde empfohlen und übernahm das Mandat. Dem Waffenhändler wird vorgeworfen, mit dem Attentäter die rechtsextreme Haltung zu teilen. So posierte er mit Hitlerbärtchen auf Fotos. Dagegen ist Marks davon überzeugt, dass der arbeitslose Verkäufer keine rechtsextreme Gesinnung hat. Er sei nie bei irgendeiner rechten Gruppierung gewesen, sagt der Anwalt: "Das ist eher so'n Depp."

Aber auch sich selbst bezeichnet er als "völlig unpolitisch", obgleich er zumindest zeitweise Vorsitzender der "Marburger Bürgerliste" war, eine Wählergemeinschaft, die im Jahr 2000 aus einer Abspaltung der CDU in Marburg entstand. Er verteidigte den Burschenschafter, der im Streit einen Studenten erstach – das Gericht erkannte auf Notwehr und sprach ihn frei. Er verteidigte aber auch Punker und Anarchisten.

Mitleid mit seinen Mandanten hat er nicht. Mit Mördern kommt er aber meist besser klar als mit Wirtschaftskriminellen. Wer einen Menschen getötet habe, fühle sich für seine Tat in der Regel auch verantwortlich, erklärt er. Diese Einsicht sei bei Betrügern seltener: "Die sind dann oft völlig empört, weil man sie einsperrt", berichtet Marks. Andererseits gehört auch sein schönster Prozess in den Bereich Wirtschaftskriminalität: 2006 klaute eine Bande mehr als vier Kilometer Schienen der stillgelegten Bahnstrecke zwischen Niederwalgern und Lohra. Die waren angesichts der hohen Stahlpreise 170.000 Euro wert. Dafür engagierten die Täter ahnungslose Arbeiter aus Litauen, fälschten Auftragsschreiben der Bahn und entschuldigten sich mit Handzetteln für den Lärm. Das nannte sogar der Richter ein "Schelmenstück".

Drohungen von Mandanten gehören zu Marks' Alltag. Da erinnert ihn ein unzufriedener Gewalttäter aus dem Gefängnis heraus daran, dass sein früherer Anwalt nun nicht mehr lebe: "Auch wenn ich hier sitze, kann ich mich wehren", bellt er am Telefon. "So sind sie halt, die Burschen", kommentiert Marks trocken. Nur Schwäche dürfe man dann nicht zeigen.

Bis vor kurzem war er davon überzeugt, dass man in Marburg jederzeit ohne Angst über die Straße gehen könne. Jetzt vertritt er einen Fall, bei dem an einem Markttag in der Frankfurter Straße eine erkennbar schwangere Frau zusammengeschlagen und ausgeraubt wurde. Eine weitere Frau wurde in der Wilhelmstraße – vermutlich vom selben Täter – mit einem Stein ins Gesicht geschlagen. Das beeinträchtige das Sicherheitsgefühl, sagt Marks. Keine Er­klärung hat er dafür, dass ausgerechnet im wohlhabenden Marburger Süd­viertel so viele schwere Straftaten passieren. "Das kann eigentlich nur Zufall sein", sagt er.

An der Tür seines Büros hängen zwei Roben: Die eine trägt er im Gericht. Die andere hängt zur Erinnerung an dieser Stelle. Vor sechs Jahren vertrat er einen Mann, der seine Ehefrau übel zugerichtet hatte. Vor dem Schöffengericht erschien überraschend der Bruder der Ehefrau, ein Berufseinbrecher, den Marks schon sein vielen Jahren kennt. Der Bruder kam schnurstracks auf die Anklage­bank zu und boxte seinem Schwager mit solcher Wucht ins Gesicht, dass er selbst quasi über den Tisch fiel, während der Angegriffene aus der Nase blutete. Beim Hochkommen hielt er sich an der Robe des Anwalts fest, der versucht hatte, zwischen die beiden zu gehen. Bis heute ist sie völlig zerrissen. Doch immerhin, der boxende Einbrecher hatte Ganovenehre: "Nix für ungut", murmelte er: "Kriegst ne Neue." Und tatsächlich berappte er die 300 Euro für die zerschundene Robe.

Festnahme am Busbahnhof
Der Marburger Waffenhändler Philipp K., der jetzt vor Gericht steht, wurde knapp einen Monat nach dem Attentat in München am 16. August 2016 in der Nähe des Hauptbahnhofs Marburg festgenommen. Der 32-jährige Deutsche war auf ein Scheingeschäft von Beamten eingegangen, die ihn zu dem Treffen überredeten. Ermittler des Zolls hatten über das Darknet Verbindung zu dem Marburger aufgenommen und den Kauf einer Maschinenpistole plus Munition im Wert von 8000 Euro vereinbart. Bei der Übergabe am Marburger Busbahnhof unweit des Zollamtes wurde er verhaftet. Die Fahnder waren ihm auf die Spur gekommen, weil er einem 62-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen und einem 17-Jährigen aus Nordhessen Waffen verkauft hatte.
In den Vernehmungen gab Philipp K. zu, dass er die beim Amoklauf in München verwendete Pistole vom Typ Glock 17 sowie 350 Patronen für 4350 Euro an den Schützen verkauft hatte. Dazu traf er den 18-jährigen Attentäter David S. zweimal in Marburg. Die Waffe wurde diskret im Ludwig-Schüler-Park unweit des Hauptbahnhofs übergeben. Philipp K., der sich im Darknet Rico nannte, soll sich seinen Lebensunterhalt mit dem Waffenhandel finanziert haben.
gec

Gesa Coordes

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