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Thema der Woche | 23. Februar 2017

Zoff im Betriebsrat

Viel Ärger vor der Neuwahl der Arbeitnehmervertreter im Uniklinikum
Foto: Coordes

Zerstritten ist der Betriebsrat des Marburger Universitätsklinikums schon seit Jahren. Ungezählte Gespräche auf allen Ebenen, freundliche und böse Briefe, selbst eine Mediation – nichts half. Nach einem knapp gescheiterten Abwahl­antrag, einer Solidaritätskundgebung und einem Flugblatt mit schweren Vorwürfen ist das Gremium nun zurückgetreten. Ende März wird neu gewählt. Neue Spitzenkandidaten sind bislang aber nicht dabei.

Worum es geht, ist von außen kaum zu verstehen. "Macht", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär, Fabian Rehm. "Es geht um die Transparenz und den Umgang mit Informationen", sagt Franz-Josef Schmitz vom Marburger Bund. "Es sind einfach zu viele Durchgeknallte im Betriebrat", urteilt ein Insider, der lieber ungenannt bleiben möchte.

Im Zentrum der Kritiker stehen die Betriebsratsvorsitzende Bettina Böttcher und ihr Stellvertreter, der 28-jährige Krankenpfleger Björn Borgmann, der auch Konzernbetriebsratsvorsitzender ist. Beide sind Mitglieder der Gewerkschaft Verdi. Böttcher, die seit mehr als 30 Jahren für die Beschäftigten aktiv ist und seit 2005 als Betriebsratsvorsitzende wirkt, kommt aus dem Arbeiterbereich. Die gelernte Schriftsetzerin arbeitete bis zu ihrer Freistellung in der inzwischen geschlossenen Wäscherei des Uni-Klinikums. Verdi-Gewerkschaftssekretär Rehm sieht in ihrer Herkunft einen Grund für die Querelen. Und er ergänzt: "Ich glaube nicht, dass man sich bei einem Mann genauso verhalten hätte."

Ihr Widersacher bei der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Dr. Franz-Josef Schmitz, arbeitet seit Jahrzehnten als Oberarzt und Gynäkologe am Klinikum. Er hat den Antrag auf Abwahl der Vorsitzenden und auf Entzug ihrer Freistellung und der ihres Stellvertreters Borgmann gestellt. Er bezeichnet dies als einen "völlig normalen, demokratischen Vorgang". Als Grund nennt er die Amtsführung der Vorsitzenden und verweist auf ein anonymes Flugblatt, das im Klinikum verteilt und von namentlich nicht genannten Betriebsratsmitgliedern aller drei Listen herausgegeben wurde. Darin wird der Betriebsratsspitze vorgeworfen, dass die E-Mail-Konten des Gremiums so eingerichtet worden seien, dass sie auch auf den persönlichen Mail-Verkehr Zugriff gehabt habe. Mails seien Außenstehenden zugänglich gemacht worden. Zudem habe Böttcher notwendige Informationen sowie Briefe und Protokolle zurückgehalten.

"An den Vorwürfen ist nichts dran", sagt Gewerkschaftssekretär Rehm, der den Vorstoß als "Putschversuch" bezeichnete. Bei einer Untersuchung aller Computer durch den Arbeitgeber sei herausgekommen, dass es keine unberechtigten Zugriffe auf Rechner gegeben habe: "Es lässt sich nichts finden, dass auf irgendein Fehlverhalten hindeutet", sagt Rehm. Schmitz widerspricht: Die entscheidenden Fragen seien gar nicht untersucht worden.

Unterdessen betont die Dachorganisation des Marburger Bundes in Hessen, dass auch Mitglieder anderer Listen hinter dem Abwahlantrag gestanden hätten – darunter auch Mitglieder von Verdi sowie von freien Listen. Verdi ist mit 14 Mitgliedern die stärkste Liste, der Marburger Bund hat sieben Mitglieder, die freie Liste sechs. Sprecherin Kerstin Mitternacht betont: "Der Marburger Bund betreibt keine Abwahl eines Betriebsrats."

Die Wahl ging tatsächlich so knapp aus, dass auch Verdi-Mitglieder mit den Kritikern gestimmt haben müssen. Noch am Tag zuvor gab es eine Solidaritäts­kundgebung für Böttcher und Borgmann. Dass es auch innerhalb der eigenen Liste Knatsch gibt, weiß Rehm. Kritiker aus den eigenen Reihen seien unzu­frieden über die Verteilung der Plätze bei der letzten Aufsichtsratswahl gewesen. In dem Kontrollgremium sind Bettina Böttcher und Björn Borgmann aus Marburg sowie Klaus Hanschur aus Gießen vertreten.

Im Anschluss an die gescheiterte Abwahl trat der Betriebsrat geschlossen zurück. "Das ist kein Gremium, das sich mit sich selbst zu beschäftigen hat", erklärt Borgmann. Deshalb hätten sie schon im Vorfeld Neuwahlen vor­ge­schlagen: "Wenn es Zoff gibt, muss man die Beschäftigten fragen." Er hofft, dass es nun vor allem um Themen und nicht um Personen geht. Für vordringlich hält er vor allem die Sicherung des Standortes Marburg. Schließlich sei der Arbeit­geber zurzeit der "größte Nutznießer der Eskapade ".

Ob der Betriebsrat aus einer Neuwahl gestärkt hervorgeht, ist allerdings noch offen. So weit bekannt, wollen die Hauptbeteiligten alle wieder kandidieren.

Gesa Coordes

Thema der Woche | 23. Februar 2017

Ein Tusch geht immer

Die Prunksitzung als Performance: Der "Ernst Neger Komplex" am 26.2. im Landestheater – Foto: Augst

Von "Heile Heile Gänsje" bis "Humba Täterä": Gemeinsam mit Brezel Göring, Frontmann von Stereo Total und einer kompletten Big Band interpretiert Sänger und Komponist Oliver Augst die Hits des einstigen Stars der Mainzer Fastnacht, des singenden Dachdeckermeisters Ernst Neger, sowie anderer Helden der deutschen Unterhaltungsmusik. Im Interview mit dem Express erzählt Oliver Augst von seinem berührenden Ernst-Neger-Moment.

Express: Ist das ein Stück für Faschingshasser?

Oliver Augst: Fastnacht, Fasching, Karneval – klar, es gibt Menschen, für die ist das ein No-Go. Ich habe mich gefragt, wie man sich sinnvoll mit diesem Phänomen auseinandersetzen kann? Ich bin selbst kein "Fastnachter" ... aber es gibt keinen Grund, diese uralte Tradition mit seinen Jahrhunderte zurück­reichenden Wurzeln als Thema für eine künstlerische Auseinandersetzung auszuschließen, ganz im Gegenteil: Karneval ist Teil unserer Kultur, ob wir wollen oder nicht.

Express: Und was interessiert Sie künstlerisch am Karneval?

Augst: Was mich interessiert, ist das Sentiment oder vielmehr der Affekt, der sich da in so einer Prunksitzung ausdrückt. Es geht wie immer darum, aus dem Blickwinkel des eigenen Hier und Jetzt, einen Punkt der Berührung zu finden. Mit Humor und Experimentierfreudigkeit, nicht denunzierend aber auch nicht anheimelnd, versuchen wir auf schmalem Grat, durch eine historisch sehr ambivalente deutsche Sprach- und Musiklandschaft zu wandeln.

Wenn Sie so wollen, ist das eine kritisch-unterhaltsame Reflexion eines deutschen Phänomens – in Ironie, Überzeichnung und Reduktion – und eine Suche nach dem berühmten magischen, wunden, treffenden Punkt, analytisch und hingebungsvoll gleichzeitig.

Express: Sie würdigen die Gassenhauer – und setzen sich auch kritisch mit den Liedern und ihrer Rezeption auseinander?

Augst: Der singende Dachdeckermeister, das "Phänomen" Ernst Neger, dessen Lieder so ziemlich jeder kennt und mitsingen kann, die im besten und schlimmsten Sinne volkstümlich sind, steht in guter Gesellschaft innerhalb des größeren von mir seit Jahren verfolgten Projekts "Archiv Deutschland". In diesem Fall ist es auch ein spezieller Blick auf Nachkriegsdeutschland, in das ich hineingeboren wurde und das einem aber auf den Fernsehaufnahmen der Mainzer Fastnacht irgendwie sonderbar fremd vorkommt.

Express: Haben Sie die Lieder von Ernst Neger als Kind gehört?

Augst: Für mich gibt es einen bestimmten, sehr berührenden Ernst-Neger-Moment: Sein Auftritt im Fernsehen bei "Mainz wie es singt und lacht" Mitte der 60er Jahre mit "Heile, Heile Gänsje". Das ist für mich mehr als ein Faschingshit. Das Lied hat seine Ursprünge im Volkslied. Ernst Neger war es damit auch ganz ernst, als er das singt, "Du armes Mainz, ich bau Dich wieder auf geschwind.." Alle haben geweint! Da tun sich natürlich Abgründe auf, da geht es darum, was Deutschland nach '45 sein soll und darf. Fasching ist ein Ventil, ein Ritual, das es den Deutschen erlaubt hat und erlaubt, sich selbst anders zu erleben, sich zu öffnen und gleichzeitig zuzudröhnen.

Herr Neger steht für mich also als so etwas wie der kleinste gemeinsame, allgemeingültige Nenner des sehnsüchtigen, Sinn suchenden Menschen, eigentlich der kompletten Skala aller Ab- und Beweggründe des Daseins. Bei Ernst Neger findet man eben wunderschöne, fast schüchterne musikalische Momente, aber auch den schlimmsten Mitklatsch- und Gute-Laune-Terror.

Express: Welchen Anteil hat das marburgjazzorchestra an der Produktion?

Augst: Eine entsprechend offene, experimentierfreudige Big Band zu finden, die sich auch mal einen Spaß leisten und z.B. deftig mitgrölen kann bei einem Lied wie "So ein Tag, so wunderschön wie heute" und andererseits die nötige Präzision und absolute Professionalität mitbringt, ist uns mit dem marburg­jazz­orchestra unter Leitung von Robin Bäumner absolut geglückt!

Frenetische Free-Jazz-Improvisation, dann wieder Dicke-Backen-Musik, dann Herz-Schmerz – und das alles innerhalb weniger Minuten, das können nicht viele Bands.

Unser Dirigent, Jonathan Granzow, schneiderte dann alles maßgerecht auf den Leib der Band und greift dabei bei der Instrumentierung in die Vollen: vom Tubax (einem sehr großen und tiefen Saxophon) bis zur Piccoloflöte.

Und ganz wichtig: Das marburgjazzorchestra ist quasi immer auch ein Ausweg: Wenn nichts meht geht – ein Tusch geht immer!

Aufführung:
Sonntag, 26.2., 19.30 Uhr, Theater am Schwanhof
Das marburgjazzorchestra
Die Zusammenarbeit von Oliver Augst beim "Ernst Neger Komplex" mit dem "marburgjazzorchestra" (mjo) ist über einen ehemaligen mjo-Gastsänger entstanden. Das mjo hat seit seiner Gründung 2006 immer wieder mit wechselnden Gastkünstlern, Arrangeuren und Solisten gearbeitet. Zuletzt war es etwa mit dem Echo-Jazz-Preisträger Niels Klein auf Tour und verschreibt sich in erster Linie dem europäischen Jazz der Gegenwart. Über Hessen hinaus bekannt wurde das Orchester vor allem durch den Fokus auf deutsche Bigbandliteratur der letzten zwanzig Jahre.

Interview: Georg Kronenberg

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