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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 8. Dezember 2005

Die Macht der Mediokren

Info
Die Mobbing-
Selbsthilfegruppe Marburg trifft sich an jedem zweiten Donnerstag (nächster Termin: 15.12.) um 19.00 Uhr in den Räumen des fib am Erlenring 12.
Mobbing-Telefon: 0173 / 3 27 87 03
Ulrike Rohde
Mobbing ist vor allem in kommunikationsbetonten sozialen Berufen verbreitet und beschert Selbsthilfegruppen großen Zulauf

Ein kleiner Bürodialog zwischen Kaffeemaschine und Kopierer: "Na, X, welchen Salat machst du morgen zur Grillfete?" – "Grillfete? Salat?" – "Na, zum Geburtstag von Y!" – "Keine Ahnung..." – "Ach so, dir hat mal wieder niemand was gesagt."

Natürlich könnte es sich hier "mal wieder" um ein versehentliches Versäumnis aller zehn bis zwanzig Kollegen handeln. Diese Sicht bevorzugt zumindest Kollege X schon seit längerer Zeit. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass hier gemobbt wird, ist doch um einiges größer. Ein typisches Anzeichen dafür ist genau dieses "mal wieder", denn Mobbing geschieht über längere Zeiträume mit fortgesetzten Angriffen auf eine Person. Auch das "niemand" ist verräterisch, denn der "Mob" sucht sich ein Opfer, das dann systematisch vereinzelt wird, wobei manche aktiv und andere nur passiv fies sind. Letzteren schwant meistens schon, dass sie selbst die nächsten Anwärter auf den Posten des Opfers sein könnten...

Sigrun Valentin-Bette, Leiterin der vor drei Jahren gegründeten Marburger Mobbing-Selbsthilfegruppe, hat festgestellt, dass vielen Opfern erst erstaunlich spät klar wird, was um sie herum und mit ihnen passiert. "Sie fragen sich lange: Ist das wirklich Mobbing? Und dann ist es oft fast zu spät, sie sind zu wütend, zu kaputt, um die Situation noch zu ändern und können sich nur noch krankschreiben lassen. Denn", so Valentin-Bette, "alle Mobbing-Opfer werden krank." Meist sind es Herz-Kreislaufprobleme, Magenerkrankungen, Rückenbeschwerden, die typische psychosomatische Palette. "Wir haben bei allen Treffen schlimme, brennende Fälle, auch heute." Sie hat recht. Die Frau mittleren Alters, deren Fall an diesem Abend im Mittelpunkt steht, ist nervös und niedergeschlagen. Das zerknüllte Taschentuch, die zitternde Stimme, der Reflex, immer wieder den Rollkragen des Pullovers über das Kinn zu ziehen, zeigen einen im Kern seiner Persönlichkeit getroffenen Menschen. Kein Wunder, wenn man bei einem unangekündigten Personalgespräch genötigt wurde, auf einem niedrigen Hocker zu sitzen oder wenn Patienten, mit denen man arbeitet, vom Vorgesetzten als "Gesocks" bezeichnet werden, die "den Staat eh schon zuviel Geld kosten". – Man mag es kaum glauben, aber am ausgeprägtesten ist Mobbing laut Valentin-Bette im Bereich der sozialen Berufe. Die Betroffenen sind nach ihrer Erfahrung zu 60 – 70 % Frauen, außerdem oft hochqualifizierte Angestellte mit langjähriger Berufserfahrung und schwachem "Ellbogenverhalten".

Die Selbsthilfegruppe bietet Mobbing-Opfern zunächst die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs, um Klarheit über die eigene Situation zu bekommen und z.B. wieder etwas Selbstvertrauen zu gewinnen. Wer dann einen Schritt weitergehen möchte, kann das Netzwerk aus Kooperationspartnern in Anspruch nehmen, in dem Mediatoren, Juristen, Psychologen und Unternehmensberater unterschiedlichste Hilfe anbieten. Dieses Hilfsangebot gilt jedoch nicht nur den Opfern, sondern über die Mediatoren auch den "Mobbern": Erstens sind "Fälle von Mobbing Fäulnisstellen, die dem Betrieb wirtschaftlich sehr schaden", so Valentin-Bette. Daher seien viele Arbeitgeber sogar froh, das leidige Problem dank der Vermittlertätigkeit endlich lösen zu können und übernähmen teils sogar freiwillig die Kosten der Mediation.

Zweitens steckt ihrer Meinung nach beim Mobbenden hinter dem Panzer aus Feindseligkeit "ein sehr unsicherer Mensch, der sich in seiner Haut nicht wohlfühlt". Aber, mal ehrlich: sind die Neidgefühle und Ängste der Mobber nicht oft allzu begründet? Es sind die Mediokren, Vertreter des Mittelmaßes, ihre Angst ist die vorm Überholtwerden, ihr Trumpf ist das bessere Sitzfleisch und das dickere Fell. Der Mobber ist ein Koloss von einem Würstchen ...

Ulrike Rohde



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